Tag 1
Nach unserer Erstürmung von Rabenskreg und unserer Befreiung von Ulf haben wir noch zwei Wochen in Kalsgard verbracht. Zwei Wochen, die wir damit verbracht haben Vorräte einzukaufen, neue Zugtiere zu beschaffen und die Wage Winterfest zu machen. Zwei Wochen voller faszinierender Abende und Nächte. Ich habe rasch gemerkt, wenn man den Leuten erzählt, dass man im Winter über die Krone der Welt will, sie sehr redselig werden. Ich lauschte zahllosen Geschichten, Sagen und Mythen betreffend diese arktische Welt, den Pfad von Agenhei und der fremden Welt von Tian Xia. Aber auch die Frauen ließen sich leicht beeindrucken von der Tapferkeit dieses Unterfangens und meinen traurigen Augen – „Vielleicht werden dies meine letzten Nächte sein, in denen ich die Wärme einer Frau empfangen kann“ – und so verbrachte ich nicht eine Nacht alleine. Vielleicht sollte ich öfter über die Krone der Welt reisen.
Tag 2
Ich habe angefangen mich mit unseren beiden neuen Fahrern anzufreunden: Hans ist ein junger Mann aus Kalsgard, der sechste Sohn einer großen Familie von Fahrern. Er hat bei seinem Vater gelernt und es ist seine erste große Reise. Er ist sichtlich aufgeregt, freut sich aber darauf diese fremden Länder zu sehen. Außerdem wird das Gehalt dazu reichen seinen ersten eigenen Wagen zu kaufen. Er möchte ganz groß ins Karawanengeschäft einsteigen. Der sympathische Junge kann außerdem sehr gut mit seiner Knochenflöte umgehen. Gut zu wissen, dass wenigstens einer der mitreisenden einen Sinn für Musik und Kunst hat. Sigewulf ist da ein ganz anderes Kaliber. Auch wenn er noch nie über die Krone der Welt gefahren ist, ist er ein erfahrener Wagenlenker. Mehr noch: Es soll seine letzte Fahrt vor dem Ruhestand werden. Er ist oft zwischen den Lindwurmkönigreichen und Irrisen hin und her gefahren und kennt sich mit Übernatürlicher Kälte und Monstern aus. Leider scheint es so, als würde er nicht gerne darüber sprechen.
Tag 20
Wir haben die befestigte Stadt Turvik erreicht. Sie ist die nördlichste Siedlung auf unserem Weg, die sich noch im Reich der Lindwurmkönigreiche befindet. Sie liegt auch am Fuße der Sturmspeerhügel; unserem ersten großen Hindernis auf der Reise nach Norden. In und hinter den Hügel liegt das Riesenreich Urjuk. Dieses hügelige Reich ist die Heimat von Frostriesen. Ulf hat uns jedoch versichert, dass wir in Sicherheit sind, solange wir den Pfad von Agenhei nicht verlassen. Wir benutzen unseren Aufenthalt in Turvik um unsere schwindenden Vorräte wieder aufzustocken und Informationen über den vor uns liegenden Weg zu erhalten. Die Karawane erregt Aufmerksamkeit – niemand der bei Sinnen ist, reist jetzt noch über die Krone der Welt. Daher geben wir vor auf einer Pilgerfahrt zu sein, welche keine Verzögerung erlaubt.
Tag 30
Die Reise durch die Sturmspeerhügel ist beschwerlich, aber ereignislos. Es hat sich eine triste Routine in der Karawane eingestellt und ich frage mich, wie das noch 150 weitere Tage so laufen soll, ohne dass wir uns gegenseitig an die Kehle springen. Es ist zudem kalt geworden. Es liegt eine geschlossene Schneedecke, der Atem dampft vor unseren Mündern und wir sind nur mehr in unseren dicken Jacken unterwegs. Ich bin froh, mein Nachtlager mit Kelda teilen zu können. Neben einer Abwechslung vom täglichen Allerlei bietet ihr Körper auch noch eine angenehme Wärme, mit der wir gut durch die Nacht kommen.
Tag 34
Heute haben wir die unsichtbare Grenze von Urjuk hinter uns gelassen. Wir haben das Reich der Riesen passiert, ohne auch nur einen einzigen Riesen gesehen zu haben. Diese Erkenntnis ist gleichsam erfreulich, wie enttäuschend. Nichts verdeutlicht die Monotonie der Reise besser als der Wunsch nach der Begegnung mit einer riesigen, tödlichen Bestie. Es wird wahrlich Zeit für etwas Abwechslung! Der Höhepunkt eines jeden Tages ist immer noch das abendliche beisammensitzen am Feuer. Abwechselnd erzählen wir uns Geschichten – vor allem Ulf und ich versuchen uns mit immer bizarreren Anekdoten über die Krone der Welt und ihre Geschichte zu übertrumpfen. Insbesondere Ulfs Erzählung zu den Namenlosen Spitzen, die sich tief oben im hohen Eis verbergen, haben einige Aufmerksamkeit erregt. Lu hat vorgeschlagen – ich bin mir nicht sicher wie ernst er es meinte – unsere Route zu verändern und diesen Spitzen einen Besuch abzustatten. Um ihnen einen Namen zu geben, wie er meinte. Wir konnten ihn darauf vertrösten, die Spitzen bei unserer Rückreise genauer zu inspizieren. Hoffentlich, hat er es bis dahin vergessen.
Tag 45
Es wird etwas wärmer – nicht viel, aber doch. Immer noch liegt eine durchgehende Schneedecke und immer noch sind die Wägen morgens mit einer dicken Schicht Eis bedeckt. Doch die zahlreichen Bäche und Flüsse der Seenplatte von Hasanaliat sind warm genug um einige Pflanzen auch bei dieser Kälte wachsen zu lassen, vor allem aber, um größere Tiere anzulocken. Unsere Jäger, welche die Karawane stetig umkreisen wie Motten das Licht, bringen jeden Abend reichlich Wild mit ins Lager. Dadurch steigt auch die Stimmung unter den Reisenden. Lagertha hat angefangen sich von Koja die Karten legen zu lassen, auch wenn sie selbst nicht an die Turmkarten glaubt. Die Fahrer und ich verwenden die Turmkarten zum Spielen. Die Einsätze jede Nacht betragen nur wenige Kupfermünzen, aber sie tragen dazu bei, dass wir uns erfolgreich die Zeit vertreiben können. Dennoch muss ich aufpassen, dass ich Hans am Ende der Reise nicht halb Minkai schulde.
Tag 47
Vor einigen Tagen warnte uns Koja, dass wir einen fremden Wanderer treffen würden. Heute war es soweit. Ein einsamer Erutaki Fallensteller kam uns entgegen. Er warnte uns davor, dass er weiter nördlichen die Spuren von Walddrakas gesehen hatte. Wir dankten ihm für diese Information und zogen weiter – nach den Bestien Ausschau haltend.
Tag 49
Was für eine Scheiße! Von wegen Walddrakas! Keine Spur war von diesen drachenähnlichen Kreaturen zu sehen. Dafür wurden wir bei einer Flussquerung von riesigen Fischen attackiert. Fische so groß wie unsere Ochsen, an denen sie besonderes Interesse zeigten. Während das erste unserer Tiere fast im Maul eines dieser Fische verschwand überkam mich die Erkenntnis, dass wir kein einziges Ersatztier dabei hatten. Aber das war ein Problem, um das wir uns später kümmern mussten. Zuerst ging es darum die bestehenden Tiere zu retten. Dafür musste fast Cousin Ese sterben, dem wir keinen entsprechenden Schutz geben konnten. Tut mir leid Cousin – aber in diesem Moment waren die Tiere wirklich wichtiger. Und du hast es doch überlebt…
Tag 54
Unsere Späher haben direkt neben der Straße eine einsame Hütte gefunden – im Inneren brennt ein Feuer und es sind Stimmen zu hören. Wir beschließen hier unser Lager aufzuschlagen und die Gastfreundlichkeit der Erutaki auszunutzen. Leider war es schlussendlich doch keine so gute Idee. Die Hütte entpuppte sich als Hinterhalt einer alten, untoten Hexe samt ihrer Irrlicht-Begleiter. Nach hartem Kampf hatten wir die Hütte dann aber für uns und ich konnte den anderen die Geschichte der alten Maguyu erzählen: Jahrelang suchte sie die Gegend heim, verkleidete sich als Fallensteller und freundete sich mit Reisenden an, um sie dann zu kochen und zu essen. Einige Jahre zuvor jedoch, war ein Jäger jedoch zu schlau für die Tricks der Vettel gewesen. Er schaffte es sie zu überrumpeln, zu erschlagen und er verbrannte ihren Körper. Aber trotzdem kam die Alte Maguyu zurück und erhob sich als Hexenfeuer, um ihre Schreckensherrschaft wiederaufzunehmen. Vielleicht haben wir ihr jetzt endgültig den Gar aus gemacht, oder aber wir haben der Geschichte nur ein weiteres Kapitel hinzugefügt. Wer weiß?
Tag 55
Wieder hat uns Koja die Karten gelegt und uns gewarnt, dass eine schwere Prüfung vor uns läge. Als wüssten wir das nicht! Die Überquerung der Krone der Welt würde wohl kaum ein Zuckerschlecken werden. Warum konnten die Voraussagen von Kartenlesern nicht etwas genauer sein!
Tag 62
Gestern erreichten wir den Taraska-Fluss und begannen damit eine Furt zu suchen. Es dauerte auch nicht lange – aber auch mit einer Furt war die Durchquerung des reißenden Flusses alles andere als einfach. Wir rasteten am südlichen Ufer des Flusses und bereiteten Zauber vor, die uns für die Überquerung hilfreich sein würde. So war es dann auch ein leichtes, die Karawane überzusetzen. Auch wenn die fliegenden und auf dem Wasser laufenden Ochsen etwas irritiert waren. Aber ich denke, daran werden sie sich schon noch gewöhnen. Wird schließlich nicht unsere letzte Flussdurchquerung gewesen sein. Nach der Durchquerung (oder sollten wir sagen, Überquerung?) begannen wir damit dem Fluss Richtung Osten zu folgen. War das die schwere Prüfung, vor der uns Koja gewarnt hat?
Tag 70
Unsere langweiligen Reise gab es heute endlich wieder Abwechslung. Unsere Späher entdeckten eine große Herde Moschusochsen. Wir beschlossen einen Tag Rast zu machen und unsere Trockenvorräte durch frisches Fleisch aufzustocken.
Tag 71
Bei den Göttern. Ich glaube ich werde Vegetarier. Die Tundra liegt voll von abgeschlachteten Tieren. Lagertha watete faktisch durch Blut. Und Kelda überlegt ernsthaft ob sie ihren Schlachtennamen – Ochsenschlächter – abgeben soll. Was für ein Massaker. Lu meinte, als er die tote Herde sah, scherzhaft: „Hoffentlich hat die niemandem gehört.“
Nachtrag: Heute Nacht hat sich der Besitzer der Herde bei uns gemeldet. Ein Ettin mit seinen zwei Braunbären stürmte wütend unser Lager. Letztendlich erging es ihm aber nicht besser als seiner Herde. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass mir das leidtut. Er hatte uns ja eigentlich nichts getan – und es war alles andere als nett von uns, seine Herde so abzuschlachten.
Tag 72
Wir mussten unseren Aufenthalt um einen Tag verlängert. Der Ettin hat einen der Wägen schwer beschädigt und es dauerte einen ganzen Tag, bis wir ihn wieder fahrtüchtig bekommen haben. Immerhin gab uns das genug Zeit noch weitere Tiere zu töten und aufzubereiten. Wir hätten mehr Salz zum Pökeln mitnehmen sollen.
Tag 76
Wir haben entdeckt, dass eine unserer Proviantkiste mit Schleichender Fäulnis infiziert war. Laut Ulf kommt dies öfters mal vor. Nichts worüber wir uns groß Sorgen machen sollten. Aber es hat uns gezeigt, dass die Gefahren überall lauern. Hätten wir die betroffene Kiste außerdem nicht früher entdeckt, hätten wir einen Gutteil unseres Proviants verlieren können. Das wäre kein schönes Ende für die Karawane geworden.
Tag 80
Nach den Abenteuern der letzten Tage hat wieder die übliche Langeweile eingesetzt. Immer noch folgen wir dem Flusslauf nach Osten. Obwohl wir kaum Kilometer nach Norden machen, scheint es jeden Tag kälter zu werden. Vielleicht kriecht auch langsam die Kälte in den hintersten Knochen. Ich weiß es nicht. Ohne Ulf hätten wir uns auf jeden Fall schon längst verlaufen. Der Pfad von Agenhei ist kaum als solcher zu erkennen. Ich frage mich, wie gut die Straße im Sommer zu sehen wäre?
Tag 82
Das Abenteuer hat uns wieder. Heute haben unsere Späher einen Berg an gefrorenen toten Tieren am Wegesrand gefunden. Rehe, Eisbären, sogar ein Schneeleopard. Die Tiere sind voll und ganz durchgefroren, obwohl sie nur wenige Tage tot sind. Eigentlich sollten sie noch keine kompletten Eisblöcke sein. Ulf erinnerte uns an die Hungrigen Stürme, welche hier im Norden manchmal wüten. Sie scheinen eine gewisse Art bösartiger Intelligenz zu besitzen und alles zu töten was ihnen in den Weg kommt. Es scheint zudem keine Methode zu geben sie zu töten. Fliehen scheint die einzige Option zu sein. Vielleicht hätten wir Ulf besser zuhören sollen, als er uns von den Gefahren des Ewigen Eises erzählt hat? Wären wir dann hierher gereist? Und wofür das alles? Für einen fernen Thron und eine alte Familiengeschichte? Vielleicht wäre eine Hochzeit doch die einfachere Option gewesen. Aber was schreibe ich da…
Tag 83
Wir erreichen eine Kreuzung, auf der sich der Weg gabelt. Zumindest erzählt uns das Ulf, als wir mitten in der Tundra stehen. Er schlägt vor, dass wir einen kurzen Abstecher nach Iqaliat machen. Er hat gute Beziehungen zu dieser Niederlassung. Und sie bietet eine Gute Möglichkeit Vorräte aufzustocken und Neuigkeiten zur Wegbeschaffenheit zu erhalten. Wir stimmen dieser Idee einstimmig zu.
Tag 87
Was für ein Anblick. Iqaliat ist unter einen Felsvorsprung gebaut von dem meterlange Eiszapfen hängen. Im Sommer, so erzählt uns Ulf, ist die Stadt hinter einem Vorhang aus Wasser verborgen. Das ist aber auch das einzig Positive, das es zu berichten gibt. Der restliche Empfang in der Stadt ist durchaus frostig. Die Wachen an der Stadtmauer wollen uns keinen Einlass gewähren. Nur durch Ulf, und sein Amulett der Herdmeisterin Sonavut werden uns die Tore geöffnet. Etwas ist hier im Busch…